Interview mit Ibrahim Böhme
Volkskammer-Abgeordneter der SPD/DDR

SPD muss sich dem Dialog mit er PDS öffnen

UZ: Du nimmst an diesem Arbeitstreffen teil, als dessen Ergebnis eine Wahlgemeinschaft Linke Liste/PDS ins Leben gerufen wurde. Was hat dich als Sozialdemokrat der DDR dazu veranlasst?

Ibrahim Böhme: Wirkliche Sozialdemokraten haben immer die Praxis gehabt, sich, die Meinung politisch Andersdenkender anzuhören, sich damit auseinanderzusetzen und unter Umständen eigene Positionen dadurch neu in bestimmen.

Für mich persönlich kommt eine Beteiligung an dieser Liste nicht infrage. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht den Fragen und den Ansätzen für Antworten der Linken stelle. Ich halte es für wichtig, dass die Sozialdemokratie links von sich Korrektive zulässt. Gerade in sozialen Fragen muss die DDR-Sozialdemokratie sich an linken Bewegungen orientieren.

UZ: Die SPD in der BRD und der DDR verfolgt einen scharfen Abgrenzungskurs gegenüber der PDS. Hältst du das für historisch verhängnisvoll?

Ibrahim Böhme: Ich halte es für historisch falsch, weil es vielen Menschen ermöglicht, in eine Richtung Schuldzuweisungen abzugeben, aber die Frage nach der eigenen Schuld an der Vergangenheit zu verdrängen. Ich halte es für falsch, Menschen, die sich um einen politischen Erneuerungsprozess, um die Demokratisierung bemühen, mit Attributen zu versehen, wie es in der Volkskammer zu hören war. Wenn man von einer faschistoiden PDS-Vergangenheit spricht, ist das nicht nur unsauber, sondern beleidigend für den Demokratisierungsprozess dieser Partei – und außerdem stimmt es historisch nicht.

UZ: Also muss es von der gesamten SPD eine stärkere Dialogbereitschaft gegenüber der PDS geben?

Ibrahim Böhme: Ja.

UZ: Du hast die Wahlrechtsdebatte kritisiert, die hauptsächlich von der SPD forciert wurde. Warum hältst du den momentanen Kompromiss Fünf-Prozent-Klausel bei der Möglichkeit von Huckepackverfahren für Bürgerrechtsparteien nicht für akzeptabel?

Ibrahim Böhme: Erstens ist es kein Kompromiss,. Es ist das Eingehen auf eine Maximalforderung der Liberalen und der SPD. Und zweitens könnte ich dem nur zustimmen, wenn diese Parteien und Gruppen damit nicht vereinnahmt und in ihrer Wirkung minimiert würden. Ich glaube allerdings, dass der "Juniorpartner" immer vereinnahmt wird. Deshalb werde ich dafür kämpfen, dass eine im allgemeinen Wahlgebiet angewandte 5-Prozent-Klausel nicht zustande kommt.

UZ: Kommst du dir nicht vor wie der Rufer in der Wüste, wenn du dich wie hier auf der Konferenz als aktiver Antikapitalist bezeichnest und als Vermittler zwischen sozialdemokratischen und linken Positionen auftrittst?

Ibrahim Böhme: Nein, ich glaube, dass jeder Mensch, wenn er im Garten der Steine vor 13 Felsbrocken steht, nie alle 13 Felsbrocken mit einem Blick erfassen wird. Mindestens einen wird er nicht sehen können, weil der durch andere verdeckt ist. Deshalb nehme ich auch nicht für mich in Anspruch, dass ich alleine die richtige Position habe.

Ich hin in einem Prozess, vieles neu zu überdenken Für mich sind Begegnungen mit anderen demokratischen Kräften Möglichkeiten, demokratische Prozesse zu erkennen und mitzubegleiten. Ich fühle mich nicht als Vermurter. Ich denke, dass es in allen demokratischen Parteien linke und konservative Positionen gibt. Und ich fühle mich zum Beispiel in Fragen der Rechtsstaatlichkeit oder des Sozialen mit Linken in der CDU, zum Beispiel Kurt Biedenkopf, verbunden, ebenso mit Linken in der PDS, dem Bündnis 90, auch in der FDP, ich denke an Frau Hamm-Brücher, bei den Grünen mit Antje Vollmer, zum Beispiel.

UZ: Du hast zwar gesagt, die Linke Liste sei für dich persönlich kein Thema. Gleichzeitig weist du aber daraufhin, dass du dir Umbrüche in Zukunft vorstellen kannst. Was meinst du damit?

Ibrahim Böhme: Die Entwicklung in Deutschland vollzieht sich mit einer solchen Beschleunigung, dass sich im Laufe dieser Entwicklung im Laufe der nächsten drei-vier Jahre ganz andern Parteien und Listen oder Koalitionen offenbaren werden. Unsere eigene Geschichte ist dafür ein Beispiel: am 7. Oktober wurde unsere SPD illegal als Partei gegründet in der DDR. Wir sind damals auch in unseren Erklärungen von ganz anderen Vorstellungen ausgegangen: wir haben uns zwar zur deutschen Einheit bekannt - übrigens nicht zur Wiedervereinigung, was uns einige Linken immer wider undifferenziert unterstellen, aber wir gingen von einer gleichberechtigten strikten Zweistaatlichkeit aus. Vieles vollzieht sich also in einer Geschwindigkeit, die humanistischer Politik nicht angemessen ist. Und nun müssen wir Soge darum haben, dass ein beschleunigter deutscher Einigungsprozess in der allen Parteienlandschaft der BRD der letzten 40 Jahre mündet.

UZ: Könnest du dir in einem zukünftigen Parlament Bundes- oder Reichstag Zusammenarbeit mit der PDS vorstellen?

Ibrahim Böhme: Es ist in der Volkskammer nicht nur einmal vorgekommen, dass andere sozialdemokratische Abgeordnete und ich mit der PDS bei bestimmten sozialen oder gesetzlichen Vorhaben gemeinsam abgestimmt haben, zum Beispiel beim Thema Energiewirtschaft oder Grund und Boden. Es war absolut nicht so, wie es von Liberalen und Sozialdemokraten in letzter Zeit dargestellt wurde, dass nur die CDU mit der PDS in einer existenziellen Frage gemeinsam gestimmt hat.

Im übrigen sehe ich den Vorwurf an einen Parlamentarier und eine Fraktion, mit wem er abgestimmt hat, als Form der politischen Nötigung an, die sich meinem Verständnis von Demokratie entzieht.

UZ: Zum Stichwort Demokratieverständnis. Immer häufiger werden Fälle von Berufsverboten gegen PDS-Mitglieder. Du bist Polizeibeauftragter in Berlin. Was weist du darüber und wie ist deine Meinung dazu?

Ibrahim Böhme: Ich weiß, dass es das gibt. Ich gehe gegen solche Maßnahmen in dem Bereich, den ich als Vertrauensbeauftragter bekleide, strikt vor. Ich bin gegen jedes Berufsverbot, das ein Mitglied einer eingetragenen demokratischen Partei trifft. Ich sehe darin die Wiederholung von Fehlern, die die Bundesrepublik in ihrer Geschichte gemacht hat.

Das Gespräch führte Klaus H. Jann

unsere zeit, Fr. 03.08.1990

Δ nach oben